Hintergrund

Zu Fuss durch Norwegens Nationalpark: Belastungsprobe für Mensch und Material

Arthur und Jannik sind zwei Fotografen in Ausbildung. Letzten Winter begeben sie sich in den Sportferien auf eine abenteuerliche Expedition in den Norden Norwegens. Das ist ihr Reisetagebuch.

Dienstag, 12. Februar

Nach neunmal Umsteigen erreichen wir Røkland, das Ziel unserer Zugreise, überraschenderweise pünktlich auf die Minute. Am Dienstag, 12. Februar um 7.48 Uhr, nach 43 Stunden Reise ist der Moment unserer Ankunft nun endlich gekommen.

Als wir schwer bepackt und für norwegische Verhältnisse leicht bekleidet vom warmen Zug hinaus auf das verschneite Perron der Bahnstation Røkland treten, hinterlassen wir tiefe Spuren im Schnee. Wir steigen in unsere Schneehosen, dann wird das Gepäck auf die Pulkas geschnürt und wetterfest gemacht. Vor dem Abmarsch kochen wir uns an der Bahnstation auf dem Gaskocher eine letzte Suppe und beginnen um zirka 9 Uhr unsere erste Etappe zu Fuss: 12 Kilometer entlang der Überlandstrasse E-6, bis zur Grenze des Nationalparks.

Willkommen am Polarkreis.
Willkommen am Polarkreis.

Die Strasse ist gefroren und wir kommen gut voran. Nach einigen Kilometern begegnet uns eine Gruppe Schneeschuh-Wanderer auf einer Parallelstrasse. Sie sprechen uns zuerst auf Norwegisch an. Im Gespräch erzählen sie uns dann in fliessendem Englisch von ihrer gescheiterten Tour zur Aussichtsplattform auf der gegenüberliegenden Talseite. Sie warnen uns vor dem ungewöhnlich tiefen Pulverschnee, der ihnen die Tour vermasselt hat. Mit einigen Sorgen mehr wandern wir weiter entlang der vielbefahrenen E-6.

Kurz nach 17 Uhr stehen wir vor der Grenze des Nationalparks. Die Sonne ist längst untergegangen und im letzten Licht der Dämmerung stellen wir unser Sturmzelt auf. Wir sind etwas erschöpft und obwohl wir seit Mittag nur noch Energieriegel gegessen haben, beschliessen wir, heute nicht mehr zu kochen und gehen zu Bett, beziehungsweise «zu Schlafsack». Jeder mit einer Ration Studentenfutter aus der heimischen Migros im Schlafsack.

Gute Nacht.
Gute Nacht.

Mittwoch, 13. Februar

Am nächsten Morgen stehen wir nach langem Schlaf mit vielen Unterbrechungen ziemlich spät auf. Alle paar Stunden fährt ein Zug durchs Tal, nie ohne dabei ausgiebig zu hupen. Noch ziemlich verschlafen kochen wir uns eine doppelte Ration NRG-5-Trockennahrung zum Frühstück. Und schaffen es dann gerade noch so, das Zelt abzubauen, bevor die ersten Sonnenstrahlen über das Tal hereinbrechen. Unser Aufstieg beginnt unter idealen Verhältnissen und entlang einer breiten, im Sommer befahrbaren Strasse mit relativ wenig Schnee. Wir hoffen, heute noch 400 der 850 Höhenmeter hinter uns zu bringen, die wir bei unserem Anstieg zur Bukkhaugbua-Hütte zurücklegen müssen.

Los geht's.
Los geht's.

Einige Stunden später erreichen wir endlich die Zuggleise – ein erster Meilenstein dieser Etappe. Ein Blick aufs GPS (nur 178 Höhenmeter geschafft) zeigt uns, wie weit wir noch von unserer Zielhütte entfernt sind. Immerhin, kurz nach den Zuggleisen treffen wir auf ein Schild, das uns neuen Optimismus schöpfen lässt.

Wir sind auf dem richtigen Weg.
Wir sind auf dem richtigen Weg.

Kurz nach 16 Uhr verschlechtert sich das Wetter drastisch und wir sehen für lange Zeit zum letzten Mal die Sonne. Wir sind sehr erschöpft und etwas frustriert, und liegen schon kurz danach im Schlafsack. Wir machen uns nicht mal die Mühe, von Zeit zu Zeit den Himmel zu checken. Selbst wenn Nordlichter erscheinen würden, hätten wir aufgrund der starken Bewölkung keine Chance, sie zu beobachten, geschweige denn zu fotografieren.

Donnerstag, 14. Februar

Wir klettern erst um 9 Uhr aus unseren Schlafsäcken. Der Tag beginnt mit der schockierenden Erkenntnis, dass es über Nacht geregnet hat. Die Temperaturen liegen, anders als unsere Stimmung, deutlich über dem Gefrierpunkt.
Einigermassen frisch und relativ ausgeruht ziehen wir weiter den Berg hinauf. Um die Mittagszeit steht der Höhenmesser unseres GPS auf knapp 250 Höhenmetern und wir fühlen uns ziemlich scheisse. Die Steigung überschreitet stellenweise 20 Prozent. Der gestern noch leicht-luftige Pulverschnee ist nun feucht und schwer vom Regen der letzten Nacht. Unser Plan, die Hütte zu erreichen, kommt uns nur noch wie ein naiver Traum vergangener Zeiten vor. Wir fluchen und pausieren immer mehr. Die Stimmung zwischen uns ist jetzt angespannt. Wir spüren die drückende Erschöpfung und das Gefühl, versagt zu haben. Bis am Abend sprechen wir kaum noch.

Als wir unser Zelt aufgebaut haben, ist es schon dunkel und bitterkalt, was aber längst nicht reicht, um Arthur vom Käseraspeln abzuhalten. Wir sind zwar gerne bereit, auf Toilette, Heizung, und fliessendes Wasser zu verzichten, aber wenn es um die Zubereitung unserer geliebten Teigwaren geht, gehen wir keine Kompromisse ein.

Pasta, Pasta, Pasta
Pasta, Pasta, Pasta

Freitag, 15. Februar

In der Nacht auf Freitag werden wir in unserem Zelt von starkem Regen überrascht. Nach einiger Zeit merken wir, wie der Boden unter uns weich wird und überlegen uns, wie unsere Reise ohne Regenkleidung, ausser nicht-atmungsaktiven Regenponchos, weitergehen soll. Es regnet fast die ganze restliche Nacht. Aus Angst, der Boden unseres Zelts könnte der Feuchtigkeit nachgeben, schlafen wir sehr schlecht. Als wir uns früh morgens in Bewegung setzen, hat es aufgehört zu regnen und die Wolkendecke scheint weniger dicht zu werden. Die Freude darüber währt allerdings nur kurz, denn der Schnee ist nun so schwer, dass wir in der ersten halben Stunde kaum 100 Meter vorwärts kommen.

Im Tiefschnee
Im Tiefschnee
Mit Wasser aufgeweichtes NRG-5 à la Tomatensuppe
Mit Wasser aufgeweichtes NRG-5 à la Tomatensuppe

Als während des Mittagessens der Regen wieder einsetzt, beschliessen wir, das Handtuch zu werfen und den Rückweg anzutreten. Der Regen hält bis nach Sonnenuntergang an. Obwohl der Schnee, wo er noch vorhanden ist, jetzt extrem schwer ist, fällt uns der Abstieg deutlich leichter als der Aufstieg. Fast immer haben wir die Pulkas vor uns und bremsen mit unseren Schneeschuhen. Da der Regen nicht aufhört, wandern wir weiter bis kurz nach Sonnenuntergang. Das Gewicht der Pulkas beginnt unsere Knie stark zu belasten, deshalb legen wir immer wieder Pausen ein. Als um zirka 17 Uhr der Regen noch immer nicht ganz aufgehört hat, bauen wir unser Zelt, das seit Freitagmorgen nass ist, notgedrungen im Regen auf. Die Stimmung ist im Arsch und wir schlafen, ohne vorher zu kochen. In unseren feuchten Schlafsäcken fluchen wir uns schon vor 18 Uhr in den Schlaf.

Samstag, 16. Februar

Pünktlich um 7.48 Uhr weckt uns der Morgenzug, der von Trondheim her hupend durchs Tal fährt. Wir liegen noch fast eine Stunde in unseren Schlafsäcken, bevor wir uns aufraffen und nach einem ausgiebigen Frühstück das letzte Stück des Abstiegs in Angriff nehmen. Obwohl das Aussenzelt nur stellenweise durchgelassen hat, ist unser Innenzelt fast völlig durchnässt. Aus Angst, Røkland vor Anbruch der Nacht nicht mehr zu erreichen, bewegen wir uns auf steileren Wegen als beim Aufstieg. Eine weitere Nacht im Zelt wäre gefährlich, denn unsere Ausrüstung ist zu nass und wir zu schwach. So stolpern wir Richtung Røkland. Als Arthur nach einem besonders steilen Stück die Kräfte zu verlassen scheinen, steigt er kurzerhand auf seine Pulka und verändert mit seiner Entdeckung den Fortgang des Abstiegs massgeblich.

Wir werden immer waghalsiger, rodeln nun immer mehr und bewegen uns sehr schnell in Richtung Tal. Bald erreichen wir die E-6, die dem Tal entlang läuft und folgen ihr weiter in Richtung Røkland. Menschen in den vorbeifahrenden Autos werfen uns immer wieder Blicke zu: teils bemitleidende, teils bewundernde, vor allem aber verwirrte Blicke. Mit unseren vollbepackten Pulkas und unseren mittlerweile vor Müdigkeit ziemlich ausdruckslosen Gesichtern wirken wir nicht wie Touristen. Und so sind wir nicht überrascht, als kein Auto auf unsere hochgehaltenen Daumen reagiert – und selbst wenn, wir hätten höchstens in einem grösseren Kleinbus Platz gefunden.

In unserem Trancezustand übersehen wir fast das Schild zum Nordnes-Camp-Campingplatz, der in Richtung Osten neben der E-6 liegt. Wie Zombies stolpern wir über den vereisten Parkplatz der Anlage und in die Reception-Hütte.
Der Campingplatz-Besitzer offeriert uns die beste Hütte, mit Heizung, Dusche, WC und Küche. Wir sind zwar, den Umständen entsprechend, begeistert, können uns die Hütte aber nicht leisten und müssen notgedrungen ablehnen. Nachdem er sich unsere Geschichte angehört und unser nasses Gepäck bewundert hat, bietet er sie uns überraschend zum Preis der einfachsten Hütte an. Wir nehmen diese Rettung in der Not natürlich dankend an. In der Hütte breiten wir unsere nasse Ausrüstung über sämtlichen Heizkörpern aus, kochen uns ein zweigängiges «Festmahl» und gehen zu Bett.

Es schmeckt so gut, wie es aussieht.
Es schmeckt so gut, wie es aussieht.

Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt, die Moral am Boden. Wie wir mit dieser Niederlage umgehen, erzählen wir dir im nächsten Teil unseres Reisetagebuchs. Geschichten aus dem Tiefschnee mitten im Hochsommer.

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Wir sind zwei Fotografen in Ausbildung an der F+F (Schule für Kunst und Design) in Zürich.
Da uns die Natur sehr fasziniert, sind wir viel in den Bergen und Wäldern der Schweiz unterwegs. Meist mit Kamera, Zelt und einem Gaskocher im Gepäck.


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